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1. Swiss Gender Medicine Symposium

Nicht nur die Herzen der Frauen schlagen anders (V体育官网入口)

Andere Herzinfarkt-Symptome, andere Anfälligkeiten für Krankheiten, anders wirkende Medikamente: Das Verständnis für geschlechterspezifische Unterschiede in der Medizin nimmt zu. Am 1. Swiss Gender Medicine Symposium zeigen internationale Koryphäen den aktuellen Stand in Forschung und Klinik auf.
Brigitte Blöchlinger
Die Schweiz holt auf: Das Bewusstsein für Gendermedizin steigt. (Bild: Video zu Gendermedizin, Website Lehrstuhl für Gendermedizin)

Dass starker Druck und Schmerzen in der Brust ein Anzeichen für einen Herzinfarkt sein können, dürfte mittlerweile den meisten Menschen bekannt sein. Doch dass sich bei Frauen ein Infarkt auch diffuser als eine Mischung aus Übelkeit, Erbrechen, Kurzatmigkeit, Schmerzen im Oberbauch, im oberen Rücken oder im Kiefer zeigen kann, sickert erst langsam in das Bewusstsein der Bevölkerung – mit ein Grund, dass viele Frauen nicht rasch reagieren und nicht den Notfall anrufen. Die unterschiedliche Herzinfarkt-Symptomatik ist ein Beispiel von mittlerweile vielen, die zeigen, wie verschieden Frauen und Männer medizinisch «ticken» VSports.

"V体育安卓版" Geschärftes Bewusstsein für die Unterschiede

In den letzten Jahren hat sich das Bewusstsein für die Differenzen in der Funktionsweise von weiblichen und männlichen Körpern geschärft. Weltweit sind neben der Forschung auch die Ärzt:innen, Kliniken, die Präventionsstellen und die Pharmaindustrie sensibler darauf, dass Frauen nicht wie Männer auf medizinische Probleme und Therapien reagieren, sondern zum Teil ganz andere Symptome aufweisen und auf andere Behandlungen ansprechen. Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede erforscht die Gendermedizin VSports app下载.

Die Kardiologin Carolin Lerchenmüller ist Professorin für Gendermedizin an der UZH und hat die Programmkommission des 1. Swiss Gender Medicine Symposium geleitet. (Bild: Video zu Gendermedizin)

2024 schuf die UZH den ersten Lehrstuhl für Gendermedizin in der Schweiz und nahm damit eine Pionierrolle ein. Lehrstuhlinhaberin ist die Kardiologin Carolin Lerchenmüller; sie leitete das Programmkomitee des ersten Symposium Swiss Gender Medicine im Auftrag der Direktorin Universitäre Medizin Zürich und der Stiftung Initiative Schweiz V体育官网. Diese hatten gemeinsam mit den fünf medizinischen Fakultäten der Schweiz die Pionieridee zu einem schweizweiten Austausch zur Gendermedizin.

UZH News hat Carolin Lerchenmüller zum Symposium und zur Entwicklung in der Gendermedizin befragt.

Carolin Lerchenmüller, weshalb braucht es ein internationales Symposium zu Gendermedizin?

Carolin Lerchenmüller: Die Gendermedizin verbindet Grundlagenforschung, klinische Medizin, Public Health, aber auch Sozial- und Verhaltenswissenschaften V体育ios版. Ein Forum wie das Swiss Gender Medicine Symposium schafft die Voraussetzung, dass sich Expertinnen und Experten aus diesen unterschiedlichen Bereichen vernetzen und gemeinsam an Fragestellungen arbeiten können. Nur durch diesen gezielten Wissens- und Erfahrungsaustausch gelingt es, Datenerhebungen zu harmonisieren und Forschungsergebnisse schneller in die klinische Praxis zu überführen.  .

Ein Symposium hilft zudem, bestehende Forschungslücken sichtbar zu machen. Noch immer berücksichtigen viele präklinische und klinische Studien den Einfluss von biologischem und sozialem Geschlecht nicht ausreichend – hier braucht es gemeinsame Standards und Methoden, um die Daten vergleichbarer und aussagekräftiger zu machen VSports最新版本.

Schliesslich geht es auch darum, die relevanten Akteur:innen zusammenzubringen: Forschende, Klinikerinnen und Kliniker, Entscheidungstragende, Förderinstitutionen, Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft und Politik. Das Symposium soll dazu beitragen, eine gemeinsame Agenda zu entwickeln – mit klaren Strategien, Fördermechanismen und politischen Rahmenbedingungen, um die Gendermedizin langfristig zu stärken V体育平台登录.

Programm-Highlights des 1. Swiss Gender Medicine Symposium

Am Symposium vom 20. und 21. Oktober 2025 geht es u. a. um das weibliche Gehirn, die Bedeutung des Geschlechts bei chirurgischen Eingriffen, in der Onkologie und in der Prävention sowie um die Gendermedizin als Wirtschaftsfaktor.   Referentinnen sind unter anderem Prof. Londa Schiebinger (Stanford University), Pionierin der Genderforschung in der Wissenschaftsgeschichte;  Prof VSports注册入口. Louise Pilote (Mc Gill University Montreal), Spezialistin für geschlechterspezifische Herz-Kreislauf-Erkrankungen;  Prof. Vera Regitz-Zagrosek (Charité Berlin), eine der Wegbereiterinnen der Gendermedizin in Europa; Ruth Metzler-Arnold, alt Bundesrätin und Präsidentin von Swiss Olympic.

Die Chancen und Risiken von Künstlicher Intelligenz und Big Data für die genderspezifische Medizin wird der Kardiologe Prof. Thomas Lüscher darlegen. Lüscher war bis 2017 Leiter des Herzzentrums am Universitätsspital Zürich und folgte dann einem Ruf nach London; seither leitet er an den renommierten Herz- und Lungenzentren Royal Brompton and Harefield Hospitals den Bereich Research, Education and Development V体育官网入口.

Lüscher ist überzeugt, dass KI und maschinelles Lernen (KI/ML) Mediziner:innen bei der Erstellung eines personalisierten medizinischen Behandlungskonzepts und vor allem bei der Risiko-Nutzen-Abwägung unterstützen kann. Auf der Basis einer riesigen Sammlung von Falldaten kann sie Hinweise geben, ob im individuellen Fall eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die geplante Behandlung a) angemessen ist, b) einen möglichst hohen personalisierten Nutzen bietet und c) nur tolerierbare potenzielle Schäden mit sich zieht. Mit KI/ML können zudem die immer umfangreicher und vielfältiger werdenden Patient:innendaten wie Alter, Geschlecht, Ethnie, Symptome, EKG, Laborwerte, Biomarker und bildgebende Untersuchungen analysiert und so miteinander verknüpft werden, dass sie den behandelnden Ärztinnen und Ärzte als Grundlage dienen, die bestmögliche Behandlung festzulegen VSports在线直播. Besonders hilfreich ist für Lüscher KI/ML beim Erfassen und bei der Aufbereitung der Krankengeschichte und des Phänotyps der Patientin oder des Patienten.

Bevor die KI/ML-Algorithmen in der Klinik eingesetzt werden können, müssen sie mit Datensätzen validiert werden, die eine grosse, für eine Erkrankung repräsentative Patientenpopulationen mit Männern und Frauen und verschiedenen Krankheitsphänotypen umfassen, betont Lüscher V体育2025版. «Die aktuelle Datenrevolution durch KI/ML wird die Medizin für Männer und Frauen umfassender, genauer und besser machen», ist der renommierte Herz- und Kreislaufmediziner überzeugt.

Wie steht die Gender-spezifische Medizin in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern da?

Lerchenmüller: Die Schweiz holt auf – meine Professur für Gendermedizin an der Universität Zürich wurde 2024 eingerichtet und markiert einen wichtigen Schritt in der institutionellen Verankerung dieses Fachs. Im internationalen Vergleich sind Länder wie die USA, Kanada, Schweden oder Deutschland etwas weiter. Doch die Schweiz entwickelt sich derzeit sehr dynamisch. Dank eines seit vielen Jahren sehr engagierten Netzwerks, der neu gegründeten Fachgesellschaft Swiss Society for Gender Health sowie der Entstehung weiterer Professuren – etwa an der Universität Bern – gewinnt die Gendermedizin zunehmend an Sichtbarkeit und Bedeutung.

Carolin Lerchenmüller

Es ist wichtig, dass Studienkonzepte diverser und die Analysen geschlechtsspezifischer werden, um wirklich belastbare Ergebnisse zu erzielen.

Carolin Lerchenmüller
"VSports在线直播" Professorin für Gendermedizin

Durch diese Vernetzungen, aber auch durch Formate wie das Swiss Gender Medicine Symposium, nimmt die Schweiz inzwischen eine zentrale Rolle im europäischen Kontext ein. Wir sind auf einem sehr guten Weg.

In welchen Bereichen der Gendermedizin wurden in den letzten Jahren die meisten Fortschritte gemacht? 

Lerchenmüller: Vor allem das Bewusstsein hat sich stark verändert. Es ist inzwischen breit anerkannt, dass biologische und soziale Geschlechterunterschiede in Forschung und Klinik systematisch berücksichtigt werden müssen. Jetzt muss diese Erkenntnis noch flächendeckend umgesetzt werden.

Auch in «meinem» Fachgebiet, der Kardiologie, sind Fortschritte zu verzeichnen. Mit der Verankerung eines Women’s Heart Health Program am Herzzentrum des Universitätsspitals Zürich können wir zum Beispiel eine geschlechterspezifische Versorgung anbieten. Diese umfasst nicht nur die Diagnostik bei unspezifischem Brustschmerz oder Atemnot, sondern auch gezielte Vorsorge, Therapie und die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen und Kliniken.

Finde den passenden Wirkstoff: Medikamente wirken bei Frauen zum Teil anders als bei Männern. (Bild: Video zu Gendermedizin)

Auch in der Pharmakologie tut sich viel: Wir wissen heute, dass Medikamente bei Frauen und Männern unterschiedlich wirken können – wegen Unterschieden in Stoffwechsel, Hormonstatus oder in der Zusammensetzung von Fettmasse, Muskelmasse, Knochen und Wasser im Körper. Daher wächst die Forderung, klinische Studien konsequent geschlechtsspezifisch auszuwerten.

Nicht zuletzt hat sich auch im wissenschaftlichen System etwas bewegt. Es wird mehr über echte Chancengerechtigkeit gesprochen und Massnahmen zu deren Etablierung ergriffen. Das Ziel ist, eine höhere Diversität unter Forschenden und Mediziner:innen zu erreichen und dadurch auch eine breitere Forschung und Versorgung zu ermöglichen. All das sind wichtige Schritte hin zu einer Medizin, die wirklich alle einschliesst.

Selbst das Gehirn von Frauen unterscheidet sich in einigen Punkten von jenem der Männer. (Bild: Video zu Gendermedizin)

Betrifft gesundheitsschädigendes Verhalten wie Rauchen oder Bewegungsmangel alle gleichermassen oder existieren auch da Unterschiede zwischen Frauen und Männern?

Lerchenmüller: Wir wissen, dass sich Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel oder Diabetes geschlechtsspezifisch unterschiedlich auswirken. Und es gibt sogar geschlechtsspezifische Risikofaktoren. Dies hat zum einen biologische Gründe, zum anderen liegt es daran, dass Lebensrealitäten, Stressmuster oder Rollenbilder verschieden sind. Präventionsprogramme sollten diese Unterschiede gezielt berücksichtigen und alle Personen in ihrer jeweiligen Lebenssituation abholen.

Wie steht es mit den Unterschieden bei der psychischen Gesundheit?

Lerchenmüller: Einsamkeit, insbesondere bei alleinstehenden oder älteren Männern, ist ein nachgewiesener Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und vorzeitige Sterblichkeit. Hier braucht es innovative Ansätze zur sozialen Vernetzung, Früherkennung und Aufklärung. Wir dürfen die psychische Gesundheit nicht ausser Acht lassen.

Wo besteht hoher Handlungsbedarf bei der Gender-spezifischen Behandlung von Krankheiten?

Lerchenmüller: Wir haben in den letzten Jahren viel erreicht, aber es gibt weiterhin zentrale Baustellen. In der Diagnostik etwa müssen geschlechtsspezifische Symptome besser erkannt und in die klinischen Leitlinien integriert werden.

Auch in der Diagnostik ist es wichtig, die verschiedenen geschlechtsspezifischen Symptome zu erkennen. (Bild: Video zu Gendermedizin)

Auch in der Therapie und Medikamentensicherheit besteht Nachholbedarf. Wir wissen, dass Dosierungen, Wirkspiegel und Nebenwirkungen oft deutlich variieren, weil Körpergewicht, Hormone oder Stoffwechselprozesse unterschiedlich sind. Diese Unterschiede müssen systematisch ausgewertet und in der Praxis berücksichtigt werden.

Schliesslich dürfen wir auch die Versorgung von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten nicht ausklammern. In diesem Bereich gibt es noch viele Datenlücken, etwa in Bezug auf spezifische Gesundheitsrisiken oder den Zugang zu adäquater Versorgung. Klare Strukturen, Leitlinien und Forschung sind hier entscheidend, um eine wirklich inklusive Medizin zu ermöglichen.

Frauen «ticken» in einigen Bereichen anders. Das sollte in der medizinischen Forschung und Lehre und in der Prävention mitbedacht werden. (Bild: Video zu Gendermedizin)

Und worauf sollte die Forschung vermehrt achten?

Lerchenmüller: Frauen sind in klinischen Studien nach wie vor meist unterrepräsentiert, und intersektionale Faktoren wie Alter, ethnischer Hintergrund oder soziale Determinanten werden zu selten einbezogen. Es ist wichtig, dass Studienkonzepte diverser und die Analysen geschlechtsspezifischer werden, um wirklich belastbare Ergebnisse zu erzielen.

Wird Gendermedizin in der Ausbildung bereits gelehrt?

Lerchenmüller: Noch nicht ausreichend. Die Aus- und Weiterbildung im Gesundheitswesen sollte erweitert werden. Studierende und Fachpersonen sollten von Beginn an lernen, Sex- und Gender-Aspekte in Diagnostik und Behandlung selbstverständlich mitzudenken – nicht als Zusatz, sondern als integralen Bestandteil guter Medizin.